Sorge, Seele, Søren – Teil 2

Teil 1 hier

Anruf bei der philosophischen Fakultät, Universität Wien. Die Schwester lässt sich mit einem Institutsmitglied verbinden. Nachdem sie die seltsame Anfrage stellt, ist der Professor erst reichlich verdutzt, sogleich höchst entzückt – ein neuer Arbeitsplatz für seinesgleichen? Gerade jetzt, wo in seinem Institut aufgrund politischer Angelegenheiten reichlich Ärger und Sorge herrschen (was einem Philosophen gar nicht gut bekommt), scheint ihm eine so praktische Aufgabe – ja ein alternativer Arbeitsplatz – sehr gelegen zu kommen.

Was sie sich denn da genau vorgestellt hätten. Keine Nihilisten, bitte. Aha, aha – er nimmt einen Schluck von seinem schwarzen, ungesüßten Kaffee. Und.. welche philosophische Richtung, also? Nun, am besten atheistisch-agnostisch angehaucht. Der alte Professor lacht und nickt eifrig. Das seien sie fast alle. Als er aber im selben Atemzug Kierkegaard hört, spuckt er fast seinen Kaffee aus. Wie bitte? Der passe doch wirklich nicht ohne weitere Differenzierung in diese Ecke! Der Professor muss kurz in sich gehen, um darüber keinen halbstündigen Vortrag zu halten. Es wäre nicht das erste Mal.

Wie so oft muss der Experte in diesem Moment einen heiklen Drahtseilakt – ein Jonglieren verschiedenster Ansprüche – vollziehen. Der Anspruch auf inhaltliche Präzision steht in diametralem Verhältnis zu dem, was man einem nicht formell Gebildeten zumuten kann. Einerseits weiß er, wie so oft, dass man fast keine Aussage eines Laien einfach so stehen lassen dürfte. Jene Aussagen und Annahmen bewegen sich oft in einem Raum der Dreiviertelwahrheit – oberflächlich betrachtet stimmen sie in vielen Fällen – der Laie hat es aber selten wirklich verstanden und könnte darauf aufbauend keine legitimen Folgerungen anstellen, tut es aber meist trotzdem. In der Philosophie hat das sehr wohl schlimme Folgen – sowohl das philosophische Niveau der Gesellschaft, die Ehre der alten Meister als auch die seelische Gesundheit der noch lebenden Philosophen1 stehen auf dem Spiel. In anderen Gebieten, der Medizin als Beispiel, kann dies aber durchaus Konsequenzen für das körperliche Wohl aller Menschen haben.

Gerade als Philosoph war er bereits öfter in die Verlegenheit geraten, eine an ihn gerichtete Frage erst halbstündig zu sezieren, zu korrigieren und dann neu zu formulieren, um schließlich zur Antwort überzugehen. Er hat im Laufe seiner Karriere gemerkt, dass man auch höchst interessierte Laien sehr rasch langweilt und irritiert, wenn man ihnen die reine Wissenschaft in jener hochpräzisen eigenen Sprache vorträgt. Ein Gespräch verwandelt sich so ganz schnell zum Monolog des sich echauffierenden Gelehrten. In Zeiten, wo Philosophie praktisch nur in populärwissenschaftlichen Lifestyle-Häppchen und Glückskeks-konformen Sprüchlein den Alltag der Allgemeinheit berührt, müsse man, wolle man den Kontakt nicht gänzlich verlieren, die Gesellschaft eben dort abholen, wo sie sich befand. Soviel zur hart erworbenen und vor allem anstrengenden Einstellung unseres Professors – viele andere Philosophen sperren sich wohlmöglich umso mehr in ihren Elfenbeinturm und werden hinsichtlich Wissenschaftsvermittlung zu Nihilisten.

Er schluckt also bis auf weiteres den atheistischen Kierkegaard mitsamt seines bitteren Kaffees hinunter und macht sich mit der Schwester einen baldigen Termin aus.


1Blasterhansen D, Hättentätten F, et al. Stupid laymen questions rapidly elevate plasma cortisol levels in a subselection of elderly philosophers and is associated with high lifetime stress scores in the Vanderheim Stress Score. Journal Of Fictitious Publications. 1967;22:320.

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3 Antworten zu Sorge, Seele, Søren – Teil 2

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  3. Mathias schreibt:

    Zur Fußnote:
    Es sind schlussendlich eben doch die kleinen Feinheiten und Spitzfindigkeiten, die uns am meisten zum Schmunzeln bringen.
    Chapeau zu diesem exzellenten Exemplar von Einfallsreichtum (Alliteration nicht beabsichtigt)!

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